Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz, erklärt in Artikel 1 die "Würde des Menschen" für unantastbar. Das ist nicht einfach so daher gesagt. Die "Würde des Menschen" ist ein Schlüsselbegriff des klassischen Humanismus. Er wurde geprägt durch die berühmte Rede "Über die Würde des Menschen" des italienischen Renaissance-Humanisten Pico della Mirandola von 1496. Mit diesem Schlüsselbegriff des Humanismus verpflichtet das Grundgesetz ganz generell zu einem humanistischen Geist und zu humanistischen Werten.
Mit Humanismus ist dabei jene auf antike Autoren zurückgehende Denktradition gemeint, die den Menschen und sein Wesen und damit auch seine besondere Würde in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellt. Das Wesen des Menschen wird dabei durch Eigenschaften wie autonome Willensfreiheit, Vernunft, Realismus, Lebensfreude, Kreatitivät oder Mitleidensfähigkeit bestimmt. Davon abgeleitet wird z.B. die politische Freiheit, der rationale Diskurs oder die individuelle Zurechnung von Schuld, bis hin zu Konzepten wie Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat.
Mit Humanismus ist hier nicht jene moderne Verballhornung des humanistischen Gedankens gemeint, der den Humanismus auf den Atheismus verengen will. Klassischer Humanismus ist keine Festlegung auf eine bestimmte Weltanschauung, sondern die Festlegung auf eine bestimmte Perspektive auf den Menschen und seine Stellung in der Welt. Humanismus ist in diesem Sinne keine vollständige und eigenständige Weltanschauung, sondern eine weltanschauliche Teilfestlegung, an die viele verschiedene Religionen und Weltanschauungen anknüpfen können. Viele Religionen und Weltanschauungen tragen den Keim des Humanismus bereits in sich und haben ihn in verschiedenem Maße zur Entfaltung gebracht. So gibt es christliche und islamische Humanisten ebenso wie atheistische oder z.B. freimaurerische Humanisten.
Mit dem Bekenntnis zur Würde des Menschen als dem Inbegriff des humanistischen Gedankens zog Deutschland 1949 die Lehren aus seiner wechselvollen Geschichte, und zwar in doppelter Hinsicht: Deutsche Kultur waren immer dann groß, wo sie von humanistischem Geist geprägt war, verkörpert z.B. durch Namen wie Immanuel Kant, Goethe, Schiller, Albert Schweitzer oder Thomas Mann. Zugleich ist mit dem Humanismus bezeichnet, was niemals verloren gehen darf: Denn wo der humanistische Geist verlustig ging, erlebte Deutschland seine dunkelsten Stunden. Die Anrufung der "Würde des Menschen" ist Aufmunterung und Warnung zugleich.
Alles in Deutschland muss daher diesem Anspruch genügen. Nichts darf ihm widersprechen. Der deutsche Staat ist unmittelbar daran gebunden. Die Bürger sind dazu aufgerufen, in diesem Geiste zu leben, sowohl durch Artikel 1 als auch durch die Verpflichtung zur Einhaltung des Sittengesetzes in Artikel 2. Ein Handeln gegen humanistische Werte ist sittenwidrig. Alle im Geltungsbereich des Grundgesetzes vollzogenen Rechtsakte, die humanistischen Werten widersprechen, sind sittenwidrig und damit null und nichtig. Organisationen, die sich gegen den Humanismus wenden, riskieren ihr Erlöschen.
Der sogenannte "Wokismus" bezeichnet ein Konglomerat von politisch-philosophischen Theorien, die auf die französische Postmoderne zurückgehen, die von Denkern wie Michel Foucault oder Jacques Derrida repräsentiert wird. Hinter diesen stehen wiederum so gefährliche und dunkle Vordenker wie Nietzsche oder Heidegger, die dem nationalsozialistischen Ungeist zuarbeiteten.
Die Postmoderne hält die Wirklichkeit für vernachlässigbar und glaubt, dass die "Wirklichkeit", auf die es ankommt, von uns Menschen beliebig und willkürlich konstruiert wird, und zwar nach Interesse und Macht. Das betrifft auch das Wesen des Menschen selbst. Wo ein Wesen des Menschen jedoch nicht mehr dingfest gemacht werden kann, dort kann es auch keine Würde "des Menschen" mehr geben: Denn was sollte das sein, wo doch das Wesen des Menschen beliebig und unbestimmt ist? Selbst die unverrückbare Festgelegtheit auf zwei biologische Geschlechter wird kurzerhand ignoriert.
Die Idee der Wahrheit und die Idee der Vernunft als Methode zur Annäherung an die Wahrheit, wird abgelehnt. Wo alles nur Konstruktion nach Interesse und Macht ist, kann es keine Wahrheit geben, und auch keine ordnende Vernunft. Statt Vernunft wird Macht in den Mittelpunkt gestellt. Die Berufung auf Vernunft und rationalen Diskurs sei nur eine Art Trick zur Durchsetzung der eigenen Interessen.
Auch die autonome Willensfreiheit wird als Illusion bzw. als "Konstrukt" angesehen. Vielmehr sei der Mensch ein Produkt seiner Umstände. Historische Schuld wird nicht individuell einzelnen historischen Akteuren zugerechnet, sondern ganzen Kollektiven (Weiße, Männer, Deutsche, usw.). Diese Kollektive sollen heute zum Ausgleich für vergangene Diskriminierungen "positiv" diskriminiert werden. Damit halten Konzepte wie Kollektivschuld und Kollektivstrafen Einzug ins Denken (Stichwort: "Intersektionalismus").
Soweit ein ganz kurzer Abriss.
Wir sehen sofort: Die Ideen des Humanismus und die Ideen der Postmoderne stehen sich diametral gegenüber. Sie sind nicht miteinander vereinbar. Der "Wokismus" ist damit nichts anderes als ein postmoderner Antihumanismus.
Führende Vertreter der postmodernen Theorien sprechen sich ganz offen gegen den klassischen Humanismus aus. Judith Butler geht von einem fluiden Begriff des Menschseins aus:
"In any case, if we agree that philosophical anthropology is a form of humanism that supposes that there is just one single idea of what it is to be human, and that it is possible to attribute defining traits to this human subject, then we are taking that which is human as something given, something that already exists. What I want to suggest is the following: for humanness to become possible – in specific times and places – depends on certain types of social norms that are involved in the exercise of producing and 'de-producing' humanness. ... Humanness is produced and sustained in one form and is 'de-produced' and not sustained in other forms: the human being is a differentiating effect of power. ... ... ... these concepts, these really important ideals, have not left us, they continue to form us. And there is a new way of understanding them that starts with the idea that they do not have a single form and that, in fact, their regulation operates politically to produce exclusions that we must challenge. For someone to say that a person who is considered non-human is, in fact, human means a resignification of humanness and emphasises that humanness can work in another form. ... It is not a question of searching for what was already there, but of making it happen." (Quelle: "Gender is Extramoral", Fina Birulés interviewt Judith Butler, in: Genius 01.02.2008)
Was Judith Butler nicht sagt: Wenn Menschsein fluide ist, dann kann man Menschsein überhaupt nicht mehr definieren. Und mehr noch, und das sagt Judith Butler explizit: Man kann Menschsein dann nicht nur zuschreiben, sondern man kann Menschsein dann natürlich auch aberkennen. Genau das aber ist beim klassischen Humanismus ausgeschlossen. Jeder Mensch ist für den klassischen Humanismus ein Mensch und bleibt ein Mensch, das Menschsein wird ihm nicht durch die Machtverhältnisse "zugeschrieben". Ein Mensch wird nicht erst dadurch ein Mensch, dass eine Judith Butler "makes it happen": Was für ein grotesker Gedanke!
Die Ablehnung des Humanismus wird nicht selten dadurch getarnt, dass man von einem "neuen" Humanismus spricht ("new way of understanding"). Manchmal ist auch von einem "Posthumanismus" oder "Transhumanismus" die Rede. Der "neue Humanismus" ist aber keine organische Fortführung des klassischen Humanismus, sondern ein klarer Bruch mit ihm. Der "neue Humanismus" schmückt sich mit dem Wort "Humanismus", ohne ein Humanismus zu sein. Es ist ein Täuschungsversuch, um sich gegen die Kritik immun zu machen, die jeder Abweichung vom Humanismus mit vollem Recht entgegenschlagen muss.
Hinzu kommen jene zahllosen Atheistenverbände, die sich "humanistisch" nennen, doch mit "humanistisch" letztlich nur "atheistisch" meinen. Diese oberflächliche Definition von Humanismus kann man natürlich problemlos mit dem postmodernen Antihumanismus verbinden. Aber das ist nur ein falsches Spiel mit Worten.
Die Erkenntnis ist unabweisbar: Der Humanismus des Grundgesetzes und der postmoderne Antihumanismus sind vollkommen unvereinbare Gegensätze. Der Ungeist der Postmoderne ist kein Fortschritt, sondern ein Schritt vom Wege, nämlich vom Wege des Humanismus. Auf dem Weg des Humanismus zu bleiben ist der ewig bleibende Auftrag des Grundgesetzes.
Dieser Auftrag war immer schon zugleich eine Warnung von jeder Form von Antihumanismus. Antihumanismus kann in verschiedenen Formen auftreten, es muss nicht immer ein historisch bekannter Antihumanismus wie der Nationalsozialismus, der Kommunismus oder der Islamismus sein. Ein solcher Antihumanismus ist nun in Gestalt der Postmoderne neu unter uns aufgetreten.